Manchmal trifft man auf eine Ausstellung, die den Blickwinkel auf die Welt verändert. Das erhoffe ich mir für meinen 10jährigen Sohn, der mich dieses Jahr zum dritten Mal nach Linz begleitete. Zu einer Konferenz, die ein Highlight meines beruflichen Lebens als Trendforscherin und Wissensvermittlerin darstellt. Beim Ars Electronica Festival geht es um selbstfahrende Roboter, elegant gesteuerte Drohnen, charmante KI-Avatare und VR-Animationen, die Bewunderung hervorrufen. Aber auch um viel mehr, nämlich die wirklich großen Fragen zu diskutieren. Auch wenn diese Diskurse manchmal nur im eigenen Kopf geführt werden: Wie können wir als Gesellschaft nachhaltige Veränderungen anstoßen? Wie beeinflussen künstliche Intelligenz, Robotik, Medienarchitektur, interaktive Technologien, neue ästhetische Ausdrucksformen oder Schwarmintelligenz unser Leben? Was begeistert uns, was lassen wir zu, was lehnen wir ab?
Natürliche Frequenzen und ihre Bedrohung
Im ehemaligen Atombunker der Post City begeisterten uns einige Kunstprojekte, von denen wir begeistert unserer Familie und Freunden berichteten. Besonders schön fanden wir die Installation „Cascade“ von Marc Vilanova. Diese befasste sich mit den infrasonischen Frequenzen von Wasserfällen, die für bestimmte Vogelarten während ihrer Migration entscheidend sind. Diese tiefen Frequenzen dienen als natürlicher Kompass, werden jedoch zunehmend durch Lärmverschmutzung beeinträchtigt. In „Cascade“ wurden diese unsichtbaren Klänge mithilfe von Lautsprechern und Glasfasern visuell erlebbar gemacht. Der dabei entstehende Lichtvorhang symbolisierte den „Fall“ der Schallwellen und sensibilisierte die Besucher*innen für die unsichtbaren Bedrohungen, die durch industrielle Lärmemissionen entstehen. Der Künstler Vilanova schuf im lichtlosen Seitenarm des Bunkers eine poetische Darstellung des Verlustes natürlicher Orientierung und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen menschlicher Eingriffe auf die Umwelt. Tragisch, aber wunderschön visualisiert. Spürbar gemacht durch das Prickeln der Glasfasern auf der Haut.
Das Festival war aber an vielen Ecken ein Augenöffner in Sachen Natur. „Applied Virtualities: Extended Reality in Practice“ zeigte eindrucksvoll, wie Technologien wie Extended Reality (XR), Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) längst Einzug in unser tägliches Leben gehalten haben. Und das nicht nur in der Gaming-Welt. Ob in der Medizin, der Bildung oder im Umweltschutz – hier wird uns vor Augen geführt, wie XR, VR und AR unsere Zukunft positiv beeinflussen können.
Kunst und Wissenschaft als Motor für Veränderung
Während die Wissenschaft fundierte Analysen und Lösungen für die Klimakrise bietet, schafft die Kunst emotionale Zugänge und neue Perspektiven. So waren viele der gezeigten Werke darauf ausgelegt, die negativen Auswirkungen des menschengemachten Wandels nicht nur darzustellen, sondern auch positive Veränderungen anzuregen.
Besonders begeistert äußerten sich die Festivalgäste auf Social Media Plattformen nach dem Festival zur interaktiven Installation „Flock of“ des thailändischen Kollektivs bit.studio, einer Mischung aus Physik, Mechanik, Elektronik, Programmierung und Netzwerksystemen. FLOCK OF erforscht Themen wie Vernetzung und kollektives Verhalten und regt die Betrachter*innen dazu an, über die sich ständig weiterentwickelnde Natur unserer Welt nachzudenken.
In der Installation „Fu(n)ga“ des Künstlerduos Tiziano Derme und Nadine Schütz wurde die unsichtbare Welt der Pilzmyzele hörbar gemacht. Es wurde die Gestaltung von Räumen als ein in situ Prozess dargestellt, bei dem die Schaffung eines gewachsenen Raums durch Temperatur, Feuchtigkeit, Luft und Klang angeregt, verstärkt und vermittelt wird.
Kulturelles Erbe neu erleben
Im Deep Space hat uns die Installation „Notre-Dame Immersive“ begeistert, die den Besucher*innen die Möglichkeit bot, die Kathedrale Notre-Dame de Paris nach dem verheerenden Brand von 2019 in einer immersiven 3D-Umgebung zu erleben. Mit Hilfe einer 3D Brille und faszinierender 8K-Technologie konnten wir Gäste durch ein detailliertes Modell der Kathedrale aus Millionen von Bildpunkten wandern und die jahrhundertealte Architektur aus neuen Blickwinkeln entdecken. Dieses Projekt unterstreicht, wie Technologie zur Bewahrung und Wiederentdeckung kultureller Schätze beitragen kann. Notre Dame soll am 8.12.2024 nach vielen Jahren der Restaurierung wieder seine Tore öffnen.
Kritische Reflexion durch interaktive Erlebnisse
Die humorvolle Installation „How (not) to get hit by a self-driving car“ von Tomo Kihara und Daniel Coppen regte die Festivalbesucherinnen zum Nachdenken über die Zuverlässigkeit und Ethik autonomer Systeme an. In einem interaktiven Spiel mussten die Teilnehmerinnen versuchen, auf einem aufgemalten Zebrastreifen eine Straße auf unkonventionelle Weise zu überqueren, ohne von einem KI-gesteuerten Auto erkannt zu werden. Dieses Projekt warf wichtige Fragen zur Zukunft der künstlichen Intelligenz und deren Auswirkungen auf den Alltag auf.
Inspiration pur
Das Ars Electronica Festival 2024 bot wieder einmal eine facettenreiche Auseinandersetzung mit den drängenden Fragen unserer Zeit. Durch die Kombination von Kunst, Wissenschaft und Technologie wurde nicht nur kritische Reflexion angeregt, sondern auch Hoffnung geschürt – eine Hoffnung, die notwendig ist, um die Herausforderungen der Zukunft aktiv anzugehen.
Credit Coverphoto: Tom Mesic Installation: Flock of / bit.studio (TH)