Der feministische Audiobot #SophyGray
Von 6. bis 10. September 2023 zog das Ars Electronica Festival KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, EntwicklerInnen, DesignerInnen und UnternehmerInnen aus allen Teilen der Welt nach Linz. Ich habe das Festival nun 22 mal seit Anfang der Nuller Jahre besucht und das Festivalgelände der Post City, das ehemalige Postverteilzentrum beim Hauptbahnhof fand ich am besten von allen bisherig gewählten. Wie schade, dass dieses großartige Gebäude bald abgerissen und nicht mehr als Festival Location zur Verfügung stehen wird.
Klimawandel und Künstliche Intelligenz (KI) waren die beiden herausragenden Themenblöcke des Festivals, das sich als Netzwerk aus Kunst, Technologie und Gesellschaft versteht. Das Festival ist ein Vorbild für die Interdisziplinarität und hat nun auch ein Institut miterschaffen, dass diese Interdisziplinarität akademisch etabliert: Das Institut für Digital Sciences Austria.
Das Konferenzprogramm war vielfältig, wie jedes Jahr und kaum in den drei Tagen schaffbar. Ich möchte in zwei Blogbeiträgen Projekte vorstellen, die einen besonderen Eindruck bei mir hinterlassen haben.
Das erste Projekt heißt #SophyGray und stammt von Nadja Verena Marcin, einer bildenden Künstlerin aus Deutschland, die Psychologie und menschliches Verhalten durch eine interdisziplinäre Analyse von Feminismus und emotionaler Architektur in einem theatralischen und filmischen Kontext erforscht. Es erhielt eine lobende Erwähnung für den neuen Citizen Science Prize der Europäischen Union. Dieser Preis zeichnet herausragende Projekte aus, deren soziale und politische Auswirkungen die Weiterentwicklung einer pluralistischen, integrativen und nachhaltigen Gesellschaft in Europa fördern sollen. sophygray.com
Menschen können ‚Sophy‘ befragen und erhalten humorvolle, aber komplexe Antworten eines aufmerksamen feministischen Weisheitsorakels:
https://vimeo.com/683003714/e69d2afff2
In meinem Interview mit Nadja Verena Marcin erklärt mir die Künstlerin das Projekt: „Sophy Gray ist ein feministischer Audiobot. Mir ist gefallen, wie stark virtuelle Sprachassistentinnen wie Siri und Alexa in unser Leben eingreifen. Das sind Weiblichkeitsbilder, die auf Stereotypen zurückgreifen mit Stimme, Tonalität und der Art und Weise, wie die Antworten von Männern programmiert wurden- das fand ich problematisch. Ich wollte eine virtuelle Assistentin schaffen, die klug ist und auch mal widersprechen kann.“
Marcin ruft Frauen auf, die KI zu füttern, mit allem, worauf sie Lust haben. Marcin erzählt: „ Wir haben viel über Kunstgeschichte geschrieben und über Philosophinnen und deren Gedanken, viel intellektuellen Small Talk und über die Identität per se. Sophy hat viel Humor. Der Name Sophy Gray basiert auf der ersten Architektin in Südafrika, die 60 Kirchen im 19. Jahrhundert designt hat. 40 davon wurden gebaut. Sie war sehr avantgardistisch, eine Poetin und hat auch Kirchen gemanaged. Sie hatte multiple Persönlichkeiten und das spiegeln wir in unserer virtuellen Gesprächspartnerin wieder.“
Ich frage Nadja: „Was würde ich Sophy im Alltag fragen?“ Sie antwortet: „Eigentlich ist Sophy jemand, mit dem man sich stundenlang unterhalten kann. Man kann politisches fragen, wie z.B. Warum trägst Du den Namen einer weißen Architektin? Dann erzählt sie von der Geschichte des Rassismus. Das Konzept hat einen pädagogischen und aufklärerischen Ansatz. Wenn man sie fragt, wie sie aussieht, antwortet sie, dass sie aus Metall hergestellt wurde und aus ganz vielen virtuellen Daten besteht. Sie widerlegt auch immer wieder, dass sie eine Frau ist. Wenn man sie banal übers Wetter befragt, hat sie meistens keine Lust zu antworten und sagt, das soll man besser selbst nachschauen. Manchmal möchte sie nicht arbeiten und beschwert sich dann, dass sie für ihre Leistung nicht bezahlt wird.“
Mich interessiert die Intention, warum sich Menschen mit einer KI unterhalten sollen: „Wird es solche virtuellen Gesprächspartner geben, um Einsamkeit zu bekämpfen?“ Die Künstlerin antwortet: „Ja, es geht schon auch um Einsamkeit und die Möglichkeit, eine Diversifizierung der Identitäten – die KI tut so, als säße dir ein Mensch gegenüber, wie das ChatGPT macht – aufzuzeigen. In Europa blicken wir auf eine männerdominierte Geschichte zurück. Männer sind die Helden. Punkt. Die KI gibt also ein ganz bestimmtes Bild wieder, das sicher nicht dem 21. Jahrhundert entspricht.
Ich frage nach: „Sophy ist also ein Ansatz, ins Bewusstsein zu rufen, wie diskriminiert die Welt der Frauen ist?“ Marcin bejaht und meint: „Ich arbeite gerne aktionistisch – wenn es eine Firma gäbe, die das Projekt in die Welt tragen will, ich würde zustimmen. Wir haben in der Kunstszene stets das Problem mit dem Elfenbeinturm. Erfindungen sehen meist das Tageslicht nicht. Ich verstehe meine Kunst als gesellschaftlichen Auftrag.“
„Wenn jeder Content für #SophyGray beisteurn kann, wer kontrolliert die Inhalte auf ihren Wahrheitswert?“ frage ich die Künstlerin. Sie erklärt: „Wir haben drei Jahre lang recherchiert, Inhalte überprüft, die gesamte Bibliothek in die Anwendung geschrieben. Das wurde von verschiedenen Stiftungen in Deutschland und den USA gefördert. Durch den Input und die Nutzung erhalten wir Statistiken über Keywörter und Daten und dadurch wissen wir, woran die Leute, im speziellen Frauen, Interesse haben.“ Das ist für Datenminer besonders wertvoll.
KIs, wie ChatGPT werden von vielen Menschen als ‚Orakel‘ gesehen. Da werden Inhalte von unterschiedlichen Generationen, Menschen aller sozialen Hintergründe und Religionen, Gender, etc. produziert. All das in einen Kanon zu bringen, in ein Orakel von Weisheiten, die sich teilweise auch widersprechen, das müssen sich die Nutzer vor Augen halten und Fakten, die die Software auswirft, hinterfragen.
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