Vor einigen Monaten lernte ich die chilenische Künstlerin Agostina Suazo im südburgenländischen Dörfchen Edlitz kennen. Ich war auf der Suche nach einer Malerin starker Frauenbilder, als ich auf Agostinas Instagram-Seite stieß. Agostinas Bilder zeigen einerseits selbstbewusste Frauen, die Botschaften von Empowerment aussenden, anderseits solche, die ihr Gesicht hinter Büchern, Blumen und anderen Objekten verbergen, sich vom Betrachter/der Betrachterin wegdrehen oder überhaupt mit dem Rücken zu ihm/ihr stehen.
„Warum ist das so?“ fragte ich Agostina kürzlich in ihrem Atelier.
Agostina: „Ich wurde als Kind in der Schule non-stop gemobbt. Ich hatte eine dünklere Hautfarbe als die anderen Kinder und musste mir anhören, wie hässlich ich bin. Das hat ein Trauma ausgelöst, das ich bis heute in mir trage. Und das thematisiere ich in meinen Gemälden. Die Serie meiner starken Frauenbilder begann ich im ersten Covid-19 Lockdown zu malen. Ich selbst habe den Lockdown als eine Phase erlebt, in der ich gezwungen war, mich mit mir selbst zu konfrontieren. Ich begann mich zu fragen, was ich brauche und was ich in meinem Leben weiterhin machen will. All die Frauen, die ich male, haben autobiographische Züge, obwohl es keine Selbstportraits sind.“
Wie sehen diese autobiographischen Aspekte aus?
Agostina: „Im Lockdown merkte ich, dass ich Freude in einfachen Momenten und Situationen empfand. Ich schaute auf das Muster eines Kleides, das ich trug und dachte: ‚Das Muster ist so wunderschön, warum verwende ich das eigentlich nicht in einem Gemälde?‘. Es hat plötzlich keine Rolle mehr gespielt, dass in der Verwendung des Musters kein Konzept steckte. Das Gemälde sollte die Schönheit der Frau zeigen, die Schönheit dieses Stücks Textil, das mich repräsentiert. Ich begann mich in dieser Phase des sozialen Rückzugs auf weibliche Details zu konzentrieren. Meine Haltung zu mir selber, wie ich über dekorative Dinge denke, über Farben, ja sogar über Make-up, die als sehr mädchenhaft gelten. Ich habe diesen Teil meines Ichs immer verweigert. Als feministische Frau dachte ich, dass ich hart wirken muss. Ich habe erkannt, dass ich auch als starke Frau mädchenhaft sein darf. Gleichzeitig war mir wichtig, in meinen Bildern auszudrücken, dass nur weil ich Pink, bunte Muster und Blumen mag, mich niemand unterdrücken darf. Ich will als Frau respektiert werden, ‚no matter what‘“.
Diese Denkweise wurde letztes Jahr auch in Deinem Heimatland sichtbar.
Agostina: „Ja, alles begann dort durch den Protest von jungen Leuten. Sie haben eine Revolution des Wandels eingeleitet. Dann haben sich Frauen gegen sexuelle Übergriffe auf ungewöhnliche Weise gewehrt. Sie führten eine Tanzchoreografie mit dem Titel „Der Vergewaltiger bist du“ auf. Ein Auszug aus dem Refrain: „And the fault wasn’t mine, not where I was, not how I dressed”. Dass der gesellschaftliche Wandel, der viel Mut ausdrückt, von den jungen Leuten ausgeht, hat mich zum Bild „Never underestimate the power of a girl with a book“ inspiriert. Es zeigt meine Nichte, die mit diesen Werten aufwächst.“
Frauen haben in den 2010er-2020er Jahren an Platz und Macht gewonnen. Das nächste Jahrzehnt wird zeigen, ob der Zusammenhalt der Frauen weiter wächst. Frauen sind lauter geworden, unangenehmer und offener. Und trotzdem: Es gibt noch viel zu tun.
Website and Instagram – Seite der Künstlerin Agostina Suazo. Agostina malt riesengroße Wandbilder auf Häuserfassaden und erstellt Auftragsarbeiten in Form von Gemälden und Illustrationen. Sie gestaltet Corporate Designs für Unternehmen bis hin zum Weinflaschen-Etikett.