Wenn ich die Tür zu meiner Wohnung aufsperre, muss ich zuerst mal sicher gehen, dass ich in meinem fensterlosen Vorraum nicht über drei Paar Turnschuhe und Hauspatschen stolpere. Mein Sohn ist zwar schon in einem Alter, in dem es selbst für die Schuh-Ordnung verantwortlich ist, aber das ignoriert er. Die Barrierefreiheit stoppt dort, wo keine smarte Schuhkastenlösung in den eigenen vier Wänden gefunden wurde. Diese Situation zeigt mir wieder: wenn ich in die nächste Wohnung ziehe, wird ein Schuhkasten im Vorraum einen Planungsfokus bekommen.
Entwicklung von Schuhen, die für Menschen mit Behinderungen zugänglicher sind
Die Modeindustrie hat begonnen, inklusiver zu werden, indem sie Produkte entwickelt, die für Menschen mit Behinderungen zugänglicher sind. Schuhe spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie nicht nur modisch, sondern auch funktional und bequem sein müssen. Leider ist das österreichische Startup Innomake, das einen Schuh entwickelte, der mittels eingebauter Sensorik blinde und sehbeeinträchtigte Menschen vor Hindernissen warnte, vor kurzem in Konkurs gegangen. Die Technologie nutzte Deep-Learning-Algorithmen nach dem Vorbild neuronaler Netze. Der Japaner Wataru Chino hat 2021 ein ‚Gehunterstützungssystem‘ vorgestellt. Wurde dieses in Schuhe eingebettet und mit einer dazugehörigen App verknüpft, brauchten die Nutzenden nur noch ihren gewünschten Zielort in die App einzusprechen und ihre Schuhe wiesen ihnen über Vibrationen die Richtung, in die sie sich bewegen wollten.
Inklusive Einkaufserlebnisse
Online-Shops und physische Geschäfte müssen so gestaltet sein, dass sie für alle zugänglich sind. Dies beinhaltet barrierefreie Websites, die von Screenreadern gelesen werden können, sowie Geschäfte mit rollstuhlgerechten Zugängen und taktilen Markierungen für Sehbehinderte. Einige Marken bieten auch spezielle Beratungsdienste an, um sicherzustellen, dass Kunden mit Behinderungen die bestmögliche Unterstützung erhalten. Das kann durch personalisierte Anpassungen und individuelle Beratungsgespräche erfolgen.
Beispiele für barrierefreie Mode
Die kontinuierliche Entwicklung von Technologien und Designs, die auf Barrierefreiheit abzielen, wird die Modeindustrie nachhaltig verändern. Es ist zu erwarten, dass immer mehr Marken innovative Lösungen anbieten werden, die sowohl stilvoll als auch inklusiv sind. Anna Flemmer aus Berlin designt Mode und Alltagshilfen für Menschen mit Sehbehinderung.
Sie erzählt: „Meine Schwester ist Heilerziehungspflegerin und brachte mich auf die Idee, mich bei der Lebenshilfe zu melden. Dadurch lernte ich im Jahr 2014 die Jugendliche Sophie kennen, die als Kind erblindete. Ich begleitete Sophie zum Turnunterricht. In der Garderobe ist mir aufgefallen, dass sie häufig ihre Kleidung versehentlich auf verkehrt herum anzog. Das frustrierte sie. An diesem Punkt kam mir der Gedanke: Ich bin doch Modedesignerin, was kann ich verbessern, um ihr mehr Eigenständigkeit zu ermöglichen? Das war der Anstoß, das Thema Blindheit und Mode in meiner Bachelorarbeit zu beleuchten.
Eine ihrer sehbehinderten Kundinnen wies sie darauf hin, dass sie Pflegehinweise in der Kleidung nicht lesen kann und dadurch auf Hilfe beim Waschen angewiesen ist. Daraufhin entwickelten wir zusammen einen haptischen QR-Code, den man mit einem Smartphone abscannen kann – via Voiceover wird dann vorgelesen, wie das Kleidungsstück gewaschen werden muss. Meiner Meinung nach muss auch der Zugang zu (Online-)Shops sowie zu Informationen über die Modewelt, Stoffe und Materialien barrierefrei sein. Aus diesem Grund designe ich zusätzlich Alltagshilfen wie 3-D-Tastkarten für Stoffmuster und andere Hilfsmittel. Es gibt mittlerweile Farberkennungsgeräte oder Apps, mit denen man die Farbe abscannen kann und die Farbe über eine Sprachausgabe angesagt wird.“
Was braucht eine Gesellschaft, die inklusiv sein will?
Nicht nur sehbehinderte Menschen stehen vor Herausforderungen beim Einkaufen – sowohl im Laden als auch online. Auch Personen mit anderen physischen und mentalen Einschränkungen haben oft Schwierigkeiten, Zugang zu Einkaufsmöglichkeiten zu erhalten. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass sowohl physische Geschäfte als auch Online-Plattformen barrierefrei gestaltet werden. Ein selbstbestimmtes Leben benötigt vor allem eines: Innovationen in der Technologie. Durch inklusive Designansätze und gezielte Unterstützung durch Geldgeber und die Hartnäckigkeit von Startups, die sich um die Umsetzung dieser Innovationen kümmern können wir sicherstellen, dass jeder, unabhängig von seinen Fähigkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilhaben und Einkäufe selbstständig tätigen kann. Ein barrierefreies Einkaufserlebnis ist ein wichtiger Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft.