„Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können.“, sagte der deutsche Film- und Theaterregisseur, Autor und Aktionskünstler Christoph Schlingensief. Es ist genau dieser Gedanke, der auf den Gesichtern der BesucherInnen des Ars Electronica Festivals in Linz sichtbar wird. Nach einem Jahr Zwangspause waren sie wieder da, die KünstlerInnen, ForscherInnen, DesignerInnen, AktivistInnen und BesucherInnen aus aller Welt. Wer am Wochenende, so wie ich, durch die neue Festivalzentrale ‚Kepler’s Gardens‘ bei der Johannes Kepler Universität geschlendert ist, ist ohne Zweifel sehr inspiriert nach Hause gefahren. Das Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft war trotz Pandemie einmal mehr Forum für intensive Debatten, Bühne für große Auftritte, Werkstätte für kunstvolle Basteleien und Spielwiese für leuchtende Kinderaugen.
Hunderte Projekte in wenigen Tagen zu begutachten, ist unmöglich – das weiß ich nach meinem 20. Besuch bei diesem Festival nur zu gut. Trotzdem lohnt es sich, im ersten Blogbeitrag nach dem Sehen dieser Inspirationslawine ein preisgekröntes Projekt auszuwählen, das für die modebegeisterte Leserschaft von Interesse sein könnte.
Es geht um die Künstlerkollektive Remix el Barrio (Hersteller von Biomaterial aus Lebensmittelabfällen), die im Rahmen der S+T-Arts Prize 21 mit dem Großen Preis für Innovative Zusammenarbeit zwischen Industrie oder Technologie und Kunst ausgezeichnet wurde.
Remix El Barrio ist ein Kollektiv aus Designern, die Projekte mit Essensresten unter Verwendung handwerklicher Techniken und digitaler Herstellung erstellen. Ihr Ziel ist es, ein lokales und zirkuläres Ökosystem zu ermöglichen. In ihrem Manifest wollen sie Produktionsstätten und Designer/Handwerker-Kooperativen fördern, direkte Synergien mit Nachbarschaftsakteuren schaffen, den Zugang und die Renovierung von verlassenen Standorten erleichtern und die Logistik und Partnerschaft zwischen Geschäftstreibenden von Stadtteilen erleichtern.
Die Vielfalt der gezeigten Upcycling-Produkte aus Abfall – seien es Farbstoffe, die aus Avocadosteinen oder Biokunststoffe, die aus Orangenschalen gewonnen werden oder Seifen aus Altöl oder Papier aus Kaffeeschalen – war unglaublich beeindruckend. Die Initiative „Organic Matters“ erforscht die Schnittstelle zwischen Design, Biologie, Chemie, Technologie, Materialwissenschaft, Gemeinschaft und Selbstversorgung.
Das Leitmotiv der Gruppe: „Wir beziehen lokale Akteure aus der Nachbarschaft wie Restaurants, Stadtgärten und Nachbarschaftsverbände in unsere Arbeit mit ein, um ein lokales Ökosystem der Kreislaufwirtschaft zu fördern. Wir bekräftigen das Potenzial von Co-Design, digitaler Fertigung und Handwerk, um unsere Produktions-, Konsum- und Lebensweisen im Bewusstsein des ökologischen Ökosystems neu zu erfinden. Wir behaupten, dass wir uns neue Modelle und Techniken vorstellen müssen, um Innovationen mit dem zu schaffen, was wir allgemein als „Abfall“ bezeichnen. Wir schätzen innovative und künstlerische Praktiken als Motor für gesellschaftlichen Wandel. Und wir sind davon überzeugt, dass gemeinsame Designerfahrungen die Befähigung zur Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft erleichtern können.“
Hier einige Beispiele der KünstlerInnen-Kollektive:
- KOFI stellt Papier und Verpackungen aus Kaffeeschalen her. Designer: Dihue Miguens Ortiz
- RE-OLIVAR: Gestaltet Designobjekte wie Lampen, Stühle und Fliesen aus Olivenkernen. Designer: Silvana Catazine und Josean Vilar von Naifactory
- EN(DES)USO: entwickelt eine poetische Herangehensweise an Materialitäten mit Eierschalen und Yerba Mate für Design-Artefakte – von Lara Campos
- SQUEEZE THE ORANGE: Eine Jacke wurde aus veganem Fruchtleder auf Orangenschalenbasis designt – von Elisenda Jaquemot, Susana Jurado Gavino y Nuria Bonet Roca
- COLORES: stellt Farbstoffe aus Avocadokernen her – von Giorgia Filippelli
- DULCE DE PIEL: stellt Seifen aus gebrauchten Ölen her – von Clara Davis
- CIRCULAR GOS: Snacks für Haustiere, die aus ‚Restaurantresten mit Umweltbewusstsein‘, hergestellt werden – von Arleny Medina vom Restaurant Leka
- BIOPANTONE: repräsentiert eine Farbpalette aus Farbstoffen, die aus der Natur, die uns umgibt, gewonnen wird – von Anastasia Pistofidou und Fabricademy Alumni 2019
Besonders faszinierend fand ich das Projekt Squeeze the Orange, deren Ziel es ist, aus Orangenschalen einen wasserfesten Biokunststoff für die Herstellung von Kleidung und Accessoires für die Modeindustrie herzustellen. Ein Stoff, ähnlich wie Leder, der vollständig biologisch abbaubar oder kompostierbar ist. Die Designer untersuchten Orangenabfälle und haben ein Material entwickelt, das von ModedesignerInnen tatsächlich verwendet werden kann. Ich will diese Orangenschalen-Jacke.