Ein neues ‚Wow‘ in der Technologie kommt aus den USA. Ich lese über einen ‚decoder‘, der Gedanken in Sprache umwandeln kann. Kurz gesagt: Was du denkst, wird vom Computer in zusammenhängenden Sätzen wiedergegeben. Ja, das ist sinnvoll. Weniger für Amazon, den billiardenschweren Marktplatz, der über diese Weiterentwicklung des Konsums sicher jubeln würde. Die Technologie hilft Menschen, die nicht sprechen können. Wie großartig wäre es, wenn diese Menschen mit ihren Gedanken verbal kommunizieren könnten. Natürlich werfen diese Neuigkeiten folgende Frage auf: Wenn diese Art der Technologie bei motorisch eingeschränkten Menschen funktioniert, warum nicht bei dir und mir?
Die Gefahren
Die Wissenschaft versucht seit geraumer Zeit, die Gedanken von Menschen mit Hilfe von technischen Geräten zu analysieren und die gedachten Inhalte zu entschlüsseln. Ich habe vor 20 Jahren bei einem Besuch der Ars Electronica in Linz an einer Kunstinstallation eines Forscherteams teilgenommen. Ich hatte Elektroden am Kopf und musste durch meine Gedanken mit meinem Gegenüber kämpfen. Ich kann mich gut erinnern, wie faszinierend ich fand, dass mein Ninja-Ich am großen Screen hinter mir meinen Ninja-Kumpel ziemlich vermöbelte, nur, weil ich mich total entspannt habe. Als ich ans Kämpfen dachte, sackte mein Ninja-Double in sich zusammen. Ich fand das damals schon faszinierend. Mittlerweile ist das „Gedankenlesen“ Realität geworden, auch wenn man noch kein Buch mit seinen Gedanken diktieren kann.
Vom Gehirn-Brockhaus zum heutigen Machine Learning
Der renommierte deutsch-britische Hirnforscher John-Dylan Haynes vom Center for Advanced Neuroimaging der Berliner Charite meinte 2013 in einem ORF-Interview, dass Gehirnlesen Zukunftsmusik sei; damals war es nur möglich, wenige Wörter, an die man dachte, technisch auslesen zu können. Der Wissenschaftler meinte damals, dass man halbwegs verstehen könne, was jemand über einen längeren Zeitraum denkt. Trotzdem würde man die Person vorher im Computertomographen ein ganzes Wörterbuch durchdenken lassen müssen und den Rechner mit Mustern füttern. Man nahm an, dass dieser „Gehirn-Brockhaus“ würde dann nur für eine Person gelten.
Erfolgreiche Studie
Weitere 10 Jahre später hat ein Forschungsteam um den Neuro- und Computerwissenschaftler Alexander Huth von der Universität von Texas (USA) nun eine nicht invasive Methode, d.h. ohne Implantate genutzt, um die Gehirnaktivitäten von drei PatientInnen zu messen. Die amerikanischen ForscherInnen schafften es, Gedankeninhalte in ganze Sätze und eine kontinuierliche Sprache umzuwandeln. Sie erhoffen sich von der Methode, Menschen wieder eine Stimme zu geben, die nicht mehr sprechen können, z.B. wegen eines Schlaganfalls oder einer Erkrankung des Nervensystems. Das Training sei jedoch das A und O für den Erfolg dieser Technologie. 16 Stunden lang mussten die drei Geschichten lauschen und Diskussionen folgen. Dabei wurden ihre Gehirnaktivitäten mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) gescannt. Auf Basis dieses Inputs erstellten die Forscher ein Sprachmodell aus Wortsequenzen, das vorhersagen sollte, wie das Gehirn auf bestimmte Wörter reagiert.
Sinngemäßes Erkennen von Gedanken
Noch schaffe es der Decoder in den meisten Fällen nicht, den Inhalt von gedachten Geschichten exakt zu reproduzieren. Es kann bislang nur der ungefähre Sinn der Gedankengänge wiedergeben werden. Als man den Testpersonen den Satz „Ich habe meinen Führerschein noch nicht“ abspielte, gab der Decoder das Gedachte mit den Worten „Sie hat noch nicht damit angefangen, fahren zu lernen“ wieder. Trotzdem hilft diese Methode jetzt schon beim Verbalisieren von Inhalten, die z.B. bei Videos oder Bildern ohne Ton basieren. Die Methode könnte so bei einer Vielzahl von Problemen zum Einsatz kommen, vor allem in der Medizin.
Schutz der Privatsphäre
Das „Gedankenlesen“ birgt aber auch Risiken im Hinblick auf die Privatsphäre. Um zu funktionieren, muss der Decoder erst stundenlang an einer bestimmten Person trainiert werden – die Gedanken eines völlig fremden Menschen kann das Programm aktuell nicht deuten.
What’s next?
Der technische Fortschritt könnte bald dazu führen, dass auch Gedanken ohne das vorherige Training analysiert werden können und damit ohne das Einverständnis der Person, der ‚gedanklich zugehört‘ wird. Es braucht also wieder einmal ganz neue Gesetze, die die mentale Privatsphäre der Menschen in Zukunft rechtlich schützen; um einen Missbrauch der Gedankendecoder zu vermeiden.