Sommer, Sonne, Strand und Meer? Klingt für viele Menschen nach einem perfekten Urlaub. Aber es gibt auch eine touristische Gegenbewegung – von Leuten, die auf „Happy Holidays“ verzichten und an Orte fahren, die von Tod und beispielloser Unmenschlichkeit erzählen. Der Trend nennt sich Dark Tourism und zieht immer mehr Menschen an.
Perfekt geeignet für Dark Tourism sind zum Beispiel die Katakomben von Paris. Sie sind sicher nichts für sensible Gemüter, denn man bewegt sich unter Frankreichs Hauptstadt zwischen den Gebeinen Verstorbener. Einst waren die Katakomben Steinbrüche, ein Labyrinth aus Gängen, insgesamt etwa 300 Kilometer. Ein Teil davon dient als Beinhaus: Vom Ende des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Millionen Knochen von Friedhöfen dorthin umgelagert. Einblicke bietet ein eineinhalb Kilometer langer Rundgang.
Ebenso ein Ort, der Touristen der etwas anderen Art anzieht, ist Ground Zero in Manhattan. Es ist das Mahnmal für die Anschläge von 9/11. Es war ein Schicksalstag der US-amerikanischen Geschichte: Am 11. September 2011 steuern islamistische Terroristen zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York. Die Wolkenkratzer stürzen ein, 2.749 Menschen sterben. Heute besichtigen Touristen die Gedenkstätte Ground Zero an der Südspitze Manhattans. Herzstück ist das 9/11 Memorial, zwei gewaltige Wasserbecken an der Stelle der zerstörten Türme. Auch ein Museum gehört zum Mahnmal. Unter der Erde sehen Besucher darin zum Beispiel die Überreste gewaltiger, verbogener Stahlträger.
Ein Ort, der kaum zu fassen ist, ist das NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Es gilt weltweit als Symbol für den Holocaust. Nach Schätzungen ermordeten die Nationalsozialisten in dem Lager im damals von Deutschland besetzten Polen mehr als eine Million Menschen, die meisten von ihnen waren Juden. Doch auch etwa 70.000 Polen, 21.000 Sinti und Roma sowie 15.000 sowjetische Kriegsgefangene wurden hier umgebracht. Den Blick in die ehemaligen Gaskammern, Symbol für den industriell betriebenen Völkermord der Nazis, vergisst wohl kein Besucher. Und das ist auch gut so, denn jeder sollte sich mit dieser gar nicht so weit zurückliegenden Geschichte beschäftigen und sich vergegenwärtigen, was da passiert ist.
Ein bei uns in Europa etwas unbekannteres Geschichtskapitel ereignete sich beim Genozid der Roten Khmer in Kambodscha. Wer lesen und schreiben konnte, eine Brille trug oder auch nur zarte Hände hatte, musste sterben – Bildung war verpönt. Pol Pot und seine Roten Khmer errichteten in Kambodscha zwischen 1975 und 1979 ein Terrorregime. Ihre Vision war ein Bauernstaat. Durch Erschießungen, Folter und Hungersnot starben Schätzungen zufolge 1,7 Millionen Menschen – ein Massenmord am eigenen Volk. Die Killing Fields etwas außerhalb der Hauptstadt Phnom Penh sind ein Symbol des Genozids und heute eine vielbesuchte Gedenkstätte, die Touristen anzieht und zum Nachdenken anregt.
Ein weiterer Ort mit düsterer Geschichte liegt in der heutigen Ukraine: Tschernobyl. Am frühen Morgen des 26. April 1986 kommt es in dem sowjetischen Atomkraftwerk zu einer Explosion, der Reaktorkern schmilzt. Tschernobyl wird zum Symbol für das Risiko der Atomkraft – und zieht heute ebenfalls abenteuerlustige Touristen an. Eine Stahlhülle schirmt die Überreste des Reaktors ab. Der darunter liegende Betonsarkophag ist brüchig. Für den Besuch der Sperrzone um das havarierte Atomkraftwerk benötigen Reisende eine Erlaubnis. Tour-Anbieter haben geführte Besichtigungen im Programm. In der Geisterstadt Prypjat gibt es Hotels und seit 2017 sogar ein Hostel.
Eigentlich ganz schön anzuschauen, aber irgendwie auch gruselig ist die Demilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea. Sie sieht aus wie ein Naherholungsgebiet – mit unberührter Natur und Vogelgezwitscher. Das Sperrgebiet entstand in Folge des Koreakrieges 1953, als Puffer zwischen den verfeindeten Bruderstaaten. Auf geführten Touren können Urlauber diese Zone unter Aufsicht der UNO-Waffenstillstandskommission von Südkorea aus besichtigen. Auf der Demarkationslinie in Panmunjeom stehen blaue UNO-Baracken, in denen Politiker der zwei Staaten schon oft diplomatische Gespräche geführt haben.
Zum Abschluss führt uns unsere Dark-Tourism-Tour noch nach Südamerika: Pablo Escobar ist bis heute der wohl bekannteste Drogenhändler der Welt. Medellin hat er damit eine zweifelhafte Bekanntheit beschert. In der kolumbianischen Metropole baute „El Patrón“ in den 1980er Jahren das berüchtigte Medellin-Kartell auf, das tonnenweise Kokain in die USA brachte. Auf Führungen können Besucher der Stadt heute Schauplätze besuchen, an denen der Drogenboss seine Taten verübte. Escobar war damals einer der reichsten Männer der Welt. Sein bescheidenes Grab liegt etwas außerhalb der Stadt. Auch das Penthouse, auf dessen Dach der Gangster erschossen wurde, zieht Reisende an.