Ist ein Haus am Land in Zeiten einer epidemiologischen Krise die derzeit mutigste oder klügste Entscheidung? Schließlich ist dort alles weniger stressig, weniger heiße und weniger grau. Mehr als die Hälfte der WienerInnen meinten letztes Jahr in einer Umfrage, dass sie sich grundsätzlich in der Bundeshauptstadt sehr wohl fühlen. Trotzdem können sich immerhin 28 Prozent der Befragten einen Umzug in die Provinz vorstellen. Würde die Frage jetzt gestellt, wären die Zahlen viel höher, schätze ich. Landleben wird als die neue Sehnsucht definiert.
Wlan als Voraussetzung fürs Landleben
Job oder Studium sind für viele der Hauptgrund, in der Stadt zu leben. Bietet der Job die Chance, im Homeoffice zu arbeiten, ist man örtlich flexibel. Dann kann man im Ferienhaus am Land arbeiten und fängt an, darüber nachzudenken, ob es die überteuerte Miete in der Stadt sein muss. Kann das funktionieren? Können aus StadtbewohnerInnen Dorfpflanzen werden? Ja, wenn das Wlan funktioniert.
Ich habe vor einigen Jahren ein Haus im Südburgenland geerbt, in das mein Sohn und ich vor Corona hin und wieder an den Wochenenden gefahren sind. Mein Sohn war bisher zu klein, um ein Haus in einem Weinanbaugebiet zu schätzen und ich war an die Arbeit in der Stadt gekettet. Weil ich in der Coronakrise nicht ins Ausland reisen wollte, haben wir 4 Wochen im Wochenenddomizil verbracht. Ich war nicht nur erstaunt, wie sehr mir die Isolation, die Ruhe und die Langsamkeit gefällt, meine Freunde meinten nach unserer Rückkehr, ich würde Jahre jünger und extrem entspannt aussehen. Ich habe in Wien schon lange nicht mehr das Gefühl, etwas zu verpassen. Als mich eine alte Jugendfreundin dann mit der Frage konfrontierte, ob ich mir vorstellen könne, wieder aufs Land zu ziehen, warf das Fragen auf.
Traditionelles Landleben als visuelle Online-Fantasie
Da poppt plötzlich das Video von Li Ziqi im Facebook Feed auf. Li ist eine Foodbloggerin und Internetberühmtheit aus China. Li Ziqi lebt in einem malerischen Dorf in der südwestchinesischen Provinz Sichuan. Sie stellt sich ihrer international wachsenden Community seit 2016 mit traditionellen chinesischen Gerichten vor. Das beginnt mit dem Pflanzen von Samen auf ihren Feldern und reicht bis zum Servieren der Gerichte, die sie zumeist mit ihrer Großmutter teilt. Li wuchs bei ihren Großeltern auf und erlernte die Landwirtschaft. Einige Jahre lang versuchte sie ihr Glück in der Stadt, kehrte aber aufs Land zurück. Ihre Videos zur traditionellen Essenszubereitung und traditionellen chinesischen Lebensweise erreichen bis zu 50 Millionen Abonnenten auf YouTube.
Für ein weltweit isoliertes Publikum sind ihre Videos zu einer verlässlichen Quelle der Flucht und des Trostes geworden. Ihre Speisen inspirieren und eigentlich will ich mir sofort so einen Ofen bauen lassen und die gleichen Töpfe und Messer haben. Frau Li macht Pfirsichblüten- und Kirschwein, konserviert Wollmispeln und Rosenblätter. Sie macht frischen Tofu und Nudelsuppe nach Lanzhou-Art, fermentiert Sichuan-Bohnenpaste von Grund auf neu. Sie züchtet Enten, Ziegen, kocht Schnecken und Flusskrebse. Ein Video über Matsutake-Pilze beginnt damit, dass sie den Grill baut, um sie zu kochen, die Ziegel einzeln niederlegt, den Mörser glatt kratzt und dann im Wald nach Pilzen sucht. In den Videos, die von ruhiger Flötenmusik begleitet werden, fertigt Li ihre eigenen Möbel aus Bambus und färbt ihre Kleidung mit Fruchtschalen.
Landleben gegen Burnout und Alltagsstress
Lis Videos sagen etwas über die Denkweise der urbanen Millennials aus, für die ein traditioneller Kulturtrend, der als „Fugu“ oder „Hanfu“ bekannt ist, seit einigen Jahren ein ästhetischer Trend ist. Fugu spiegelt die romantischen Wünsche der Jugend wider, demütig und näher an der Natur zu leben. Unter den städtischen Millennials gibt es zu viele Burnout Opfer. Stress in Megastädten wie Shanghai oder Guangzhou, Staus, schlechte Luftqualität und Wohnungsnot belasten Stadtmenschen rund um den Globus. Viele Menschen haben die Stadt so satt, dass die Landschaft oder eine Fantasie davon zunehmend in das ideale Bild davon passt, was ein gutes Leben sein sollte.
Auch wenn die Frage erwächst, ob Lis Kanal kommunistische Propaganda ist, ändert es nichts an der Tatsache, dass die wachsende Urbanisierung neue Trends triggert. Immer mehr Menschen beschäftigen sich mit dem Gedanken, aufs Land zu ziehen. Jahrzehntelange Kampagnen der chinesischen Regierung, Städter aufs Land umzusiedeln haben das nicht geschafft. Ein globaler Virus, der in China seinen Ursprung hat und das Storytelling einer jungen chinesischen Bäuerin – ja.