Eines Tages war es da, das Schild an der Zimmertür. „Schdopp! Kain Schriet weita!“, stand in verwegener Schrift darauf, und die Botschaft war eindeutig: die Bewohnerin des Zimmers wollte in Ruhe gelassen werden. Von mir, der Mama. Und überhaupt von allen! In der überarbeiteten Fassung ein wenig später war dann von „Anklopfen“ die Rede und eine explizite Ausladung von „Eltern“ wurde postuliert. Es war so weit: wir waren raus. Zum ersten Mal in unserem Elterndasein. Unerwünscht. Zutritt verboten. Zack.
Was mich zuerst befremdete, ist etwas ganz Natürliches: auch Kinder möchten Privatsphäre. Sie wollen für sich sein, Dinge ohne unser Beisein tun und erleben, das Gefühl haben, sich zurückziehen zu können. Und je älter sie werden, desto deutlicher wird dieses Bedürfnis. Wir kennen das als Erwachsene, aber an unseren Kindern überrascht es uns, wenn sie es zum erste Mal deutlich äußern.
Kitakinder: der Widerspruchsgeist braucht Platz
Die typische Phase für erste größere Trotzanfälle liegt ungefähr im Alter von zwei Jahren. Aber das ist erst der Auftakt zu den anhaltenden Autonomiebestrebungen der Kinder im Kitaalter. Und das ist auch die erste Phase, in der sie nach Privatsphäre verlangen, auch wenn es nur der Moment ist, in dem sie sich zum Pipimachen in einer Ecke verstecken – selbst wenn das Pipi noch in die Windel geht. Das ist der Beginn ihres Strebens nach Abgrenzung und Autonomie, denn darum geht es: auch kleine Kinder wollen Dinge alleine tun und sie wollen den Platz dafür, das auszuprobieren und umzusetzen.
Für uns Eltern geht es jetzt darum, das zu erkennen und den Wunsch nach Autonomie und Freiheit (auch von uns) nicht als persönlichen Affront zu sehen, sondern den Kindern die „lange Leine“ zu geben und sie sich ausprobieren zu lassen – zum ersten Mal auch ganz für sich.
Schulkinder: Geheimbünde und Eigene Räume
Das Schulalter ist die Zeit, in der die ersten schriftlichen Botschaften auftauchen, die den Wunsch nach Abgrenzung von der Familie dokumentieren. In dieser Phase wenden sich die Kinder erstmalig mit vielen Themen an Freundinnen und Freunde und nicht mehr nur an uns Eltern. Ich habe in dieser Zeit bei meinen Kindern erlebt, wie die Türen immer häufiger auch zugemacht wurden, wenn die Freundinnen zu Besuch kamen, wie beim Übernachtungsbesuch hinter den verschlossenen Türen stundenlang getuschelt und gewispert wurde und wie dort in den Kinderzimmern Dinge passierten, von denen ich als Mama von vorne herein ausgeschlossen war.
Ehrlich gesagt waren das wunderbare Momente! Zu sehen, wie die Kinder sich neu ausrichten, sich auf neue Menschen einlassen und all die Dinge, die ihnen wichtig sind, mit ihren Freundinnen teilen wollten, zu erleben, wie sie Freundschaften finden und erste Bindungen außerhalb der Familie eingehen und wie sie sich damit neue eigene Räume erschließen, hat mich auch als Mutter in dem bestätigt, was ich meinen Kindern in den Jahren zuvor vorgelebt hatte. Dass ich nicht in der ersten Reihe Teil davon bin, sondern mich mit den kleinen Einblicken begnügen muss, die sie freiwilig mit mir teilen, ist der Preis, den ich gerne zahle.
(Pre)Teens: ELtern müssen draußen bleiben
Wenn die Kinder allerdings das Teenageralter erreicht haben, ist es endgültig vorbei mit dem Partizipieren an den Geheimbünden durch die Eltern. Und es fällt auch wirklich schwer, die Autonomiebestrebungen und das Verlangen nach Privatsphäre (absoluter Privatsphäre!) nicht persönlich zu nehmen, denn bei Teenies werden nicht einfach die Türen zugemacht, damit die Eltern nicht hineinkommen sollen, sondern wir sind offiziell peinlich. Wir sollen am liebsten unsichtbar sein, wir sollen nicht sprechen, wenn die Freundinnen und Freunde ins Haus kommen, wir sollen uns unauffällig verhalten und nur keinen Anhaltspunkt liefern, der darauf schließen ließe, wir seien wohlmöglich auch Menschen. Mit Gefühlen. Wünschen. Rechten. Nein, in dieser Phase sind wir sowas von unerwünscht!
Und es geht bei der gewünschten Privatsphäre auch nicht mehr um ein geheimes Gespräch beim Übernachtungsbesuch, von dem die Eltern ausgeschlossen werden, es geht um a l l e s. Wenn die Teenies aus der Tür gehen ist es schon privat, wenn sie Besuch kriegen, ist es höchst „confidential“ und was sie denken, sagen, was sie anziehen, was sie für Musik hören oder woran sie glauben – all das ist eine no go-area für uns Eltern. Am besten halten wir in dieser Phase einfach die Füße still, machen uns mehr oder weniger unsichtbar und versuchen, uns zu erinnern, wie es war, als sie im Alter von drei Jahren gerne mal alleine aufs Klo gehen wollten und das auch schon alles an Privatsphäre war, das sie wollten.
Hach ja.